Anna Jermolaewa

Panadero, Video, 15 min, 2012

Panadero

Anna Jermolaewa beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit seit vielen Jahren mit dem Umgang von unterschiedlichen ökonomien und Machtsystemen, die oft in autobiographischem Bezug zu ihrer Herkunft aus der Sowjetunion stehen. Die Wiederholung von Handlungen und gleichförmige Bewegungen stehen meist den von außen gesetzten Konditionierungen gegenüber. Dabei lenkt sie den Fokus auf die performative äußerung der Handlung, die im Fall des „panadero“ (Bäckers) zuerst einmal das ständige Ab- und Aufseilen der Taschen für das Brot ist.
Im 18 minütigen Video hört man aber auch das laute Knarren des Wagens, das sich mit der Stimme des Brotverkäufers mischt. Der Wagen wird lautstark weitergeschoben. Es zeigt, wenn man die romantische Perspektive des Mittel-europäers fallen lässt, eine Sisyphusarbeit. Mitten in der letzten Enklave einer Planwirtschaft (übrigens auch Titel einer älteren kritischen Arbeit von Anna Jermolaewa) verdient sich der Bäcker in der sich ständig wiederholenden Handlung des Brotverkaufes und des Weiterschiebens mühsam sein Geld.
Die Mittelseite zeigt die an der Hauswand herunterhängende Plastiktasche. Man sieht weder den Brotverkäufer noch die Person, die die Plastiktasche an der Schnur heruntergelassen hat. Das verbindende Werkzeug, der Korb oder die Plastiktasche, verweist auf das alltägliche Ritual des Hinaufziehens und Hinunterlassens. Es steht der Charme einer Alltagspraktik im Vordergrund.
Michel de Certeau widmet sein Buch „l´art de faire“ (dt. Kunst des Handelns) gleich zu Beginn dem „gemeinen Mann“, den er auch als einen aktiven Konsumenten oder „verkannten Produzenten“ bezeichnet. Das Ritual der Kommunikation über Schnüre und Körbe entspricht genau diesem letztlich „liebenswürdigen“ Szenario welches als Praktik des „gemeinen Mannes“ bezeichnet werden könnte.
Diese informelle Praktik einer Erwerbstätigkeit ist auf Grund von (globalen) Veränderungen im Kaufverhalten und zunehmenden Reglementierungen auch in Kuba vom Verschwinden bedroht. Bereits der Titel der Installation „Nostalgia“, in der Anna Jermolaewas Film erstmals in der Camera Austria in Graz (2012) zu sehen war, verweist auf eine Alltagshandlung, die es vermutlich auch bei uns früher einmal gab. Man denke da etwa an den Film „Händler der vier Jahreszeiten“ von Rainer Werner Fassbinder, der auch in dieser Arbeit für Anna Jermolaewa eine Hintergrundreferenz war.

Barbara Holub/ Paul Rajakovics, dérive, No.56, July 2014