Anna Jermolaewa

Motherhood, Video, 33 sec., Loop, 1999

Motherhood
Motherhood
Motherhood
Installationsansicht: "video & talk & tea", Pfarrkirche St. Andrä, Graz, 2001 / Foto: Hannes Pötscher
Motherhood
Installationsansicht: "Die Sammlung", Eröffnungsausstellung, MUMOK SLW, Wien, 2001

„Viele meiner Arbeiten handeln von Manipulation. Wer oder was manipuliert, bleibt dabei fast immer außerhalb des Bildfeldes. Die Machtmechanismen, die ein Individuum heute beeinflussen oder lenken, werden immer feiner und unsichtbarer“ (Anna Jermolaewa). Das kurze Video Mutterschaft ist ein so eindringliches wie idiosynkratisches Beispiel für das Ungleichgewicht von Liebe und Zuneigung, Macht und Ohnmacht, Abhängigkeit und Manipulation. Die Hündin, an deren Zitzen gierig Welpen saugen, wendet ihre Aufmerksamkeit der sie streichelnden Hand eines Mannes zu, dessen Identität unbestimmt bleibt, weil sein Gesicht nicht zu sehen ist. Ebenso außerhalb des Bildfeldes, jenseits des Fokus des Betrachters, befindet sich die Tischrunde, auf deren Konversation sich der Mann konzentriert.
Alexandra Hennig

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I have rarely seen a stranger scene. A man, of whom you can only see the upper part of his body, is sitting at a table with friends, who can only be heard, but not seen. A dog is standing next to the man, suckling two puppies. With one hand the man grabs her, strokes her head and then firmly takes hold of her collar. At the same time you can hear him indistinctly saying things like ‘Aaah, come here’. The scene lasts for 30 seconds; Anna Jermolaewa looped it to create her video Motherhood (all work 1999).
But what is actually so strange about this scene? First, it is odd that this seemingly trivial moment is being shown at all. But watching it, you gradually realise that there is something beyond the apparently accidental way it was shot. Early impressions, fostered not least by the title Motherhood (an uncommon expression in German these days), are of care, sympathy and tenderness, set within the framework of social interaction. But the bitch does not pay attention to her puppies, and while they greedily suck her teats she stretches across to the man. Perhaps she cannot look after her puppies because the man is pulling her towards him by her collar. However, as what is going on is unclear, the scene generates a mood of subtle violence.
In their book Arts of Impoverishment, Beckett, Rothko, Resnais (1993) Leo Bersani and Ulysse Dutoit observe: ‘The characters of Waiting for Godot are sacrificed to the representation of their waiting’. The images in Jermolaewa’s videos are representations of inescapable hopelessness. Whereas in Beckett’s plays the ‘panic’ of endless waiting is sublimated into dialogues which appear like set phrases, the detached observation of Jermolaewa’s video lends the banal scene a dramatic quality.
Martin Pesch, translated by Imke Werner Frieze, Issue 52, May 2000

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In ihrem Video Mutterschaft (1999) zeigt Anna Jermolaewa eine Hundemutter, an deren Zitzen eine Meute von Hundebabys verzweifelt versucht, an Nahrung zu gelangen. Die Aufmerksamkeit der Hundemutter gilt gleichzeitig einer menschlichen, sie streichelnden Hand einer an einem Tisch sitzenden Person, die wiederum völlig von einer undeutlich hörbaren Konversation an diesem Tisch absorbiert ist. Obwohl klassische Elemente von Videokunst wie die zur Qual werdende Repetition und Monotonie vorhanden sind, kommt für die ZuschauerInnen niemals ein Blick auf das Reale einer Person oder eines Wesens zustande, die Kamera legt keine Beziehungen frei oder macht diese transparent, die Szenerie bleibt zwischen den spannungsgeladenen Relationen zu uneinordenbar, jegliches Fokussieren kann auf Dauer nicht gelingen. Wo sich in anderen Fällen eine Beziehung zwischen Gezeigtem, Kamera und Bildschirm zumindest nachträglich herstellen läßt, scheitert ein analytischer Blick in diesem Fall schon an einer fast unauflöslichen Komplexität der gezeigten Situation. Die Relationen im Bild bilden niemals etwas Kreisförmiges, es gibt kein Hin und Zurück, es scheint sich irgendwie um ein Hin und Weg zu handeln. Dieses Sich-über-die-Ränder-hinaus-zu-Verlieren gilt sowohl auf einer formalen Ebene, da entscheidende Dinge außerhalb des Bilds sind, wie auch auf einer inhaltlichen Ebene, da die Kommunikation zwar eine Kette bildet, in ihren hierarchischen Mißverständnissen aber nur in eine nicht näher bestimmbare Richtung gehen kann.
ANNA JERMOLAEWA , Der Blick vorbei aufs Ganze Von Martin Prinzhorn, EIKON Heft 32, 2000